«Die Musik spielt in Deutschland und ohne uns»

KMU Region Hinterthurgau Business Lunch

Am vergangenen Donnerstag lud KMU Region Hinterthurgau zu einem Business Lunch in den Engel-Saal in Sirnach ein. Vor dem Mittagessen sprach KEEST-Geschäftsführer Andreas Koch zum aktuellen Thema «Energieversorgung, was muss ich beachten?»

Sirnach – Präsident Clemens Albrecht freute sich, dass zwei Dutzend Unternehmerinnen und Unternehmer der Einladung von KMU Region Hinterthurgau zum fünften KMU-Lunch gefolgt waren. Als Co-Gastgeber vom Thurgauer Gewerbeverband waren auch Präsident Hansjörg Brunner und Geschäftsführer Marc Widler mit dabei. Clemens Albrecht lobte die Weitsicht der Initianten, welche vor 14 Jahren das KEEST Kompetenz-Zentrum Erneuerbare Energie-Systeme Thurgau ins Leben gerufen haben. «Sie haben damals schon vorausgesehen, was heute Tatsache ist und uns derart Probleme bereitet.» Albrecht wollte vom Energieeffizienz-Experten Andreas Koch wissen, ob der Schweiz diesen Winter tatsächlich eine Energiemangellage bevorstehe. Immer öfters höre man von einer Panikmache. Koch skizzierte die Zusammenhänge in der europäischen Stromwirtschaft mit explodierenden Energiepreisen einerseits, drohenden Mangellagen andererseits und dem Umstand, dass die Schweiz nach wie vor weiter Strom exportiert.

CO2-Ausstoss: Schweiz 0,1 Prozent
Zu Beginn seiner Ausführungen befand Andreas Koch, dass es dringend wieder mehr Uhrmacher brauche und nicht nur Leute, die uns sagen, wie spät es ist! Aus Anlass der 27. UN-Klimakonferenz, welche zurzeit im ägyptischen Scharm el-Scheich stattfindet, ging Koch kurz auf die CO2-Emmissionen der einzelnen Länder ein. Die Schweiz sei Verursacher von 0,1 Prozent des weltweiten Ausstosses. China, USA, Indien, Russland und Japan hätten dagegen 60 Prozent zu verantworten, die internationale Luftfahrt 1,7 Prozent und das Internationale Transportwesen 1,9 Prozent, Stand 2019. Bis 2040 sei davon auszugehen, dass der CO2-Ausstoss weltweit um weitere fünf Prozent auf 43 Milliarden Tonnen pro Jahr anwachsen werde, drei Viertel davon entfallen auf den Stromsektor. Gleichzeitig müsse davon ausgegangen werden, dass die globale Energienachfrage um 30 Prozent zunehme. Trotz weiterer grosser Anstrengungen steige aber der Anteil nicht fossiler Energieträger im Vergleich zu heute (knapp 25 Prozent) nur unwesentlich. «Das ist eine Tatsache!», so Koch. «Die Konsequenz daraus: Die Welt wird noch Jahrzehnte von fossilen Brenn- und Treibstoffen abhängig sein und muss sich auf die gravierenden Folgen des Klimawandels einstellen.»

Versorgungssicherheit gewährleistet
Koch zeigte auf, wie der Ukraine-Krieg Europas Klimapolitik fundamental verändert hat. Deutschland habe bei der Energiewende voll auf Gas gesetzt, Mit dem Wirtschaftskrieg der EU gegen Russland auf allen Ebenen sei es extrem schwierig, daraus herauszukommen. Innerhalb der EU bestehe ein Solidaritätsabkommen für gegenseitige Gaslieferungen in Notlagen. «Die Schweiz ist nicht in dieses System eingebunden – die Musik spielt in Deutschland und ohne uns», befand Andreas Koch sarkastisch. «Wenn die zu wenig Gas haben, bekommen wir nichts!». Nach Andreas Kochs Meinung ist die Versorgungssicherheit in der Schweiz aber derzeit trotzdem gewährleistet. Er beurteilt die Lage dennoch als angespannt. Im Thurgau hänge die Versorgung von Gas hauptsächlich von den verfügbaren Kapazitäten in Deutschland ab. Die Gründe für den starken Preisanstieg seien der Krieg, die weltweit erhöhte Nachfrage nach der Pandemie – unser nördlicher Nachbar benötigt Gas für die Stromproduktion – und höhere Abgaben und Entgelte. Koch ist der Meinung, dass eine Entkoppelung der Strom- und Gaspreise einen starken Einfluss auf die Preisbildung haben würde. Die Versorgungsunsicherheit beim Strom werde uns weiter begleiten und langfristig für höhere Preise sorgen. Die Gründe: Erhöhte Nachfrage, massiv höhere Einkaufspreise, teure Produktion aus Erdgas, weniger AKW-Verfügbarkeit aus Frankreich, weniger Wettbewerb um günstigere Preise. Dazu kommen steigende Netzentgelte.

Höchste Zeit für Krisenvorsorge
Trotz vorsichtiger Entwarnungstendenzen könnten Versorgungsengpässe im Winter 2022/23 nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Als eines der schlimmsten Szenarien bezeichnete Andreas Koch eine Strommangellage mit Kontingentierungen für die Wirtschaft und im Extremfall sogar temporäre Netzabschaltungen: «Bereits eine Strommangellage von kurzer Dauer würde bei drei Viertel der Ostschweizer Unternehmungen zu einer stark eingeschränkten oder sogar totalen Produktionsunfähigkeit führen. Der wirtschaftliche Schaden wäre enorm. Koch mahnte, dass eine angemessene Krisenvorsorge in der Eigenverantwortung jedes einzelnen Unternehmens liege. Die Problematiken seien individuell. Es sei jetzt höchste Zeit, sich mit einer drohenden Energiemangellage (Strom und Gas) auseinanderzusetzen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Dass KEEST habe dazu einen Leitfaden mit Checklisten «Wie bereiten sich KMU auf eine Strommangellage vor?» erstellt. Bezug auf Anfrage. Gerne biete das KEEST natürlich auch zusätzliche Unterstützung (keest.ch).

Das Kurzreferat von Andreas Koch zu diesem komplexen Thema stiess bei den Anwesenden auf grosse Aufmerksamkeit. Sie honorierten seine informativen Ausführungen mit grossem Applaus, während sich Clemens Albrecht und Hansjörg Brunner ihrerseits bei Andreas Koch mit einem kleinen Präsent bedankten.